Theoretische Geodynamik
Rekonstruktion der Mantelentwicklung rückwärts in der Zeit
Wenn wir hingegen rückwärts in der Zeit gehen, können wir diese Probleme berücksichtigen, indem wir sogenannte geodynamische Inversionen durchführen. Solche Inversionen bestimmen den "optimalen" Anfangszustand, der sich in den bekannten (bestmöglich abgeschätzten) gegenwärtigen Zustand des Mantels entwickelt. Ein anderer Begriff für diese Art der Modellierung ist "Datenassimilation" (ursprünglich für die Wettervorhersage in der Meteorologie entwickelt). Es ermöglicht die formale Verknüpfung der Physik des Mantelströmungssystems mit den verfügbaren Beobachtungsdaten. Dies ermöglicht vor allem explizite Prädiktionen über die Vergangenheit der Mantelströmungen. Diese Prädiktionen können dann gegen unabhängige Beobachtungen getestet werden, die wiederum aus geologischen Datensätzen gewonnen werden.

Adjoint/Adjungierte Geodynamik
Ein wichtiges Forschungsgebiet in unserer Gruppe ist, in dieser Hinsicht, die Entwicklung der Theorie zur Rekonstruktion der Mantelströmungen durch diesen neuartigen, datengetriebenen geodynamischen Modellierungsansatz. Eine leistungsfähige Methode, die wir in der Münchener Geodynamik-Gruppe schwerpunktmäßig behandeln, ist die geodynamische adjungierte Methode (engl. geodynamic adjoint method). Unsere Gruppe hat sogenannte adjungierte Gleichungen der Mantelströmungsrekonstruktion für inkompressible (Bunge et al. 2003; Horbach et al. 2014), kompressible (Ghelichkhan & Bunge 2016) und thermochemische Mantelströmung (Ghelichkhan & Bunge 2018) hergeleitet. Diese Studien zeigen, dass die Entwicklung des Mantels aus einem früheren Strömungszustand, in einem dynamischen Modell erfolgreich rekonstruiert werden kann. Solche "mantle flow retrodictions (Retrodiktionen der Mantelströmung)" stellen somit natürliche Verbindungen zwischen vielen verschiedenen Bereichen in den Geowissenschaften her.

Technische Fragen, die in unserer Forschung behandelt werden, drehen sich um die verschiedenen Aspekte des geodynamischen inversen Problems. Die explizite Verknüpfung von Modellen und Beobachtungen wirft eine Reihe praktischer Fragen auf: von der physikalischen Beschreibung in Form von Gleichungen, über die Zusammenstellung geeigneter Datensätze, bis hin zur Ausbreitung von Fehlern in geodynamischen Modellen. Unser Ziel ist die Entwicklung von Erdmodellen der nächsten Generation, die sich ohne Weiteres für quantitative Interpretationen in verschiedenen geowissenschaftlichen Disziplinen verwenden lassen.